Verschleppungstaktik erzürnt das Gericht
Bensheim/Darmstadt. „Er hat Handzeichen gegeben und gesagt, dass es vier Türken waren“, sagte ein Augenzeuge gestern vor Gericht aus. Er musste mit ansehen, wie Salar Saremi auf der Straße liegend von einem Taxi überrollt wurde. „Er konnte anschließend sagen, dass er keine Luft mehr bekommt“, erklärte der noch immer sichtlich mitgenommene Freund des Opfers.
Er hatte zuvor versucht, den Taxifahrer durch Schreie zu warnen. Dieser habe zunächst reagiert, sei dann aber weitergefahren, erinnerte sich der 27-jährige Zeuge. Daraufhin riss dieser die Tür des Taxis auf und versuchte noch die Handbremse zu ziehen. Da war es schon zu spät. Das Fahrzeug hatte Salar Saremi überrollt.
Der junge Mann, den seine Freunde als „ganz lieben Menschen“ und als „Kumpeltyp“ beschreiben, verstarb vier Wochen später an seinen schweren Verletzungen. Salar Saremi wurde nur 29 Jahre alt. Er musste sterben, weil er Zivilcourage gezeigt und sich eingemischt hat. Er wurde vor fast genau einem Jahr, am 28. September 2008, von mehreren Männern brutal zusammengeschlagen und getreten, weil er zuvor in einer Diskothek einen Streit schlichten und die Parteien beruhigen wollte.
Tatverdächtiger setzte sich ab
Die „Quittung“ für sein Tun erhielt er kurz darauf. Die Täter passten ihn beim Verlassen des Lokals ab, prügelten auf ihn ein und ließen den Bewusstlosen auf der Straße liegen. Vor dem Landgericht in Darmstadt müssen sich seit gestern drei Männer, die aus einer Familie kommen, wegen Totschlags verantworten. Es handelt sich um Vater und Sohn, 42 und 19 Jahre alt, und den 19 Jahre alten Stiefbruder des Älteren. Zwei von ihnen sind wegen Bagatelldelikten vorbestraft, einer hatte bis dato eine weiße Weste.
Der vierte Tatverdächtige konnte sich vor seiner Festnahme in die Türkei absetzen. Man kennt die Familie in Bensheim. Sie sind bekannt für ihre Gewaltbereitschaft, sagte einer der Zeugen. Um sich ein genaues Bild vom Tatort zu machen, hat die Kammer nun für den 5. Oktober ab 20 Uhr einen Ortstermin in der Bahnhofstraße in Bensheim anberaumt.
Oberstaatsanwalt Erwin Albrecht verlas den vom Gericht im Mai erlassenen Haftbefehl, wonach die mutmaßlichen Schläger den Tod ihres Opfers billigend in Kauf genommen haben. Sie sollen auf den 29 Jahre alten Bensheimer brutal eingeschlagen und weiter auf ihn eingetreten haben, als dieser bereits nahezu bewusstlos auf der Fahrbahn lag. Anschließend flüchteten sie und ließen ihr Opfer hilflos zurück.
Die drei Angeklagten befinden sich seit Ende Mai in Untersuchungshaft. Ihrer habhaft wurde die Polizei – nach dem derzeitigen Stand der Dinge -, weil die Familie des Getöteten nicht locker ließ, eigene Recherchen anstellte und sich auf die Suche nach Zeugen begab.
Auch nachdem noch in der gleichen Nacht drei mutmaßliche Täter festgenommen wurden, die allerdings – wie sich später herausstellte -, mit der Schlägerei nichts zu tun hatten, sammelten die Saremis weiter Informationen über den Fall, befragten Freunde des Opfers und Gäste, die in jener Nacht in der Diskothek waren.
Von der Kripo soll Salome Saremi, die Schwester von Salar, zu hören bekommen haben, sie mache „die Welt verrückt“. Man habe gehandelt nach dem Motto: Wenn wir nichts tun, passiert nichts, erklärt die 34-Jährige in einer Gerichtspause. Sie und ihr Vater nehmen als Nebenkläger am Prozess teil.
Soll Prozess verschleppt werden?
Die drei Angeklagten schilderten den Tathergang als relativ harmloses Gerangel mit einer Ohrfeige und einigen Schlägen. Der später Getötete habe sie und ihre Mutter durch obszöne Bemerkungen beleidigt und selbst auch zugeschlagen. Als sie weggegangen seien, habe Salar mitten auf der Straße gestanden, sein Hemd auseinandergerissen und ihnen Beleidigungen hinterher gerufen. „Ich wollte wirklich nicht, dass der Junge stirbt. Es tut mir leid“, sagte einer der beiden 19-Jährigen.
Dessen Verteidiger Hermann Hädicke (Darmstadt) beantragte, seinen Mandanten auf seine Schuldfähigkeit psychiatrisch untersuchen zu lassen. Nach Überzeugung des Anwalts handelte es sich bei dem Überfall auf Salar Saremi um ein „familiär geprägtes Tatgeschehen“ mit gruppendynamischem Hintergrund.
Sowohl Kammervorsitzender Thomas Sagebiel als auch einer der beiden Vertreter der Familie Saremi, Rechtsanwalt Helmut Kutzbida, zeigten sich entrüstet über die Verteidigungstaktik, die offenbar dazu diene, den Prozess zu verschleppen. „Es ärgert mich sehr. Der Antrag hätte längst auf dem Tisch liegen müssen“, machte der Vorsitzende seinem Unmut Luft.
Auslöser des Dramas in der Nacht zum 28. September war aller Voraussicht nach eine plumpe Anmache. Der 19-jährige Schlosserlehrling – und vermutlich auch die übrigen Familienmitglieder -, sollen die Freundin eines Gastes auf der Tanzfläche belästigt und „angemacht“ haben. „Sie wollte es nicht“, sagte deren Freund vor Gericht. Als er den Männern Zeichen gab, dass ihm dies nicht passe, habe er schon den ersten Faustschlag im Gesicht gespürt. Dann sei wild auf ihn eingeprügelt worden, berichtete der 31-jährige Metallbauer und sagte weiter, „Salar hat mir geholfen. Er hat sich ein Herz gefasst und ist dazwischen gegangen“.
Der Inhaber der Diskothek habe dann alle Beteiligten an der Prügelei hinausgeworfen, auch Salar: „Ich frage mich bis heute, aus welchem Grund er das getan hat.“ Als der 42 Jahre alte Angeklagte durch höhnisches Lachen und Beifallklatschen seine Missbilligung über die Zeugenaussage zum Ausdruck brachte, drohte ihm Kammervorsitzender Sagebiel, ihn aus dem Saal bringen zu lassen.
Im Gerichtssaal anwesend waren auch etliche Mitglieder des Vereins „Fabian Salars Erbe – Toleranz und Zivilcourage“. Eine Demonstration gegen Gewalt und für mehr Miteinander vor dem Gerichtsgebäude wurde von Polizeikräften unterbunden. Der Prozess wird am 5. Oktober um 9 Uhr fortgesetzt. gs
Bergsträßer Anzeiger
17. September 2009